Wir sind so frei – 10 Jahre Freies Radio in Stuttgart
Rede anläßlich des 10-jährigen Bestehens des FRS im September 2006
Wir sind so frei – 10 Jahre Freies Radio in Stuttgart
Frei nach Rosa Luxemburg bedeutet Freiheit immer die Freiheit des Andersdenkenden. Dass es viele ‚Andersdenkende’ in dieser Stadt einmal schaffen würden, ein gemeinsames Projekt zu gestalten, zu pflegen, zu entwickeln und zu halten war diesem Kind nicht unbedingt in die Wiege gelegt. Allerdings stand am Anfang des Projekts zumindest ein starker Wille, auch in Stuttgart ein Radio von Hörenden für Hörende zu gestalten. Der Gedanke für ein unabhängiges Radio, das keinen gesellschaftlichen Einflüssen und keinem wirtschaftlichen Denken unterlag, war und –in Klammern gesagt ist- immer noch bestechend. Radio Dreyeckland war Vorbild und Maßstab zugleich. So etwas musste doch nach Einführung der Legalität auch in der Landeshauptstadt zu machen sein. Aus 4 Hauptrichtungen kam das Interesse: Aus dem Verein Südkultur mit seinen basisdemokratisch orientierten handelnden Personen aus dem Bereich des Projekts Mörikestr. 51, aus der Kontakt- und Informationsstelle für Selbsthilfegruppen in Stuttgart, die ein Sprachrohr für die vielfältigen Anliegen der Selbsthilfe suchten, aus dem Stadtjugendring Stuttgart, dem die Arbeit seiner Mitgliedsorganisationen zu wenig öffentlich gewürdigt wurde und der Initiativgruppe Homosexualität Stuttgart, die ihre Anliegen aus dem Aspekt einer in der Öffentlichkeit diskriminierten Minderheit öffentlich vertreten wollte.
Diese Gruppierungen und einige interessierte Personen aus Ihrem Umfeld trafen sich auf Initiative des Stadtjugendrings im Mai 1993 erstmals, um zu sehen, was sich aus den heterogenen Anliegen denn entwickeln ließe. Der Beschluss lautete, sich zunächst um eine Frequenz zum Senden und einen eigenen Rechtsträger zu kümmern. Letzterer wurde mit dem Freien Radio Stuttgart e.V. im September 1993 aus der Taufe gehoben. Schon gleich nach der Gründung wurden der Freiheit der Gründer/innen juristisch die Flügel gestutzt: Das Registergericht wollte diesen Namen nicht eintragen, weil er etwas präjudiziere, was es noch gar nicht gäbe. So wurde aus dem ‚Freies Radio Stuttgart e.V.’ der Förderverein für das Freie Radio Stuttgart e.V. Von der Landesanstalt für Kommunikation kam der Bescheid, dass es in Stuttgart keine freie Frequenz für das Freie Radio gäbe.
In den nächsten knapp 3 Jahren wurden deshalb fleißig alle freien Frequenzen gesucht, mit der Telekom –heute T-Systems- abgeglichen und an die LfK weitergegeben – ohne Erfolg. Während 7 freie Radios an anderen Standorten koordiniert wurden und bald darauf auch auf Sendung gingen, gab es für das Freie Radio Stuttgart nur die virtuelle Freiheit des Gedankens. Eine der Kapriolen der Geschichte ist, dass wir die Freiheit zu senden ausgerechnet dem heutigen Ministerpräsidenten Günther Öttinger verdanken. Aus folgendem Grund: Im September 1994 ging damals das insbesondere bei der Stuttgarter Jugend beliebte Stadtradio mit dem DJ und Moderator Bernie Bernthaler offline, weil bei der Ausschreibung der privat-kommerziellen Lokalsender dessen Betreibergesellschaft nicht mehr zum Zug kam. Herr Bernthaler organisierte daraufhin für die Weiterführung seines Senders zwei Demonstrationen mit einigen tausend Jugendlichen auf dem Stuttgarter Schlossplatz, was den damaligen JU-Landeschef und späteren Staatsminister Christoph Palmer, CDU, veranlasste, sich für eine Frequenz für einen Jugendsender in Stuttgart stark zu machen. Die darauf vom damaligen CDU-Fraktionsvorsitzenden Günther Öttinger durchgeführte Anhörung erbrachte im Ergebnis, dass die LfK nun doch eine dann nichtkommerzielle Frequenz auf der 97,2 MHz UKW ausschrieb.
Mit viel Glück und unter großen Anstrengungen konnte der Förderverein für das Freie Radio Stuttgart dann Vorstand und Medienrat der LfK von der Qualität und Breite seines Angebots und der Solidität seiner Finanzierung überzeugen und erhielt im März 1996 dann die begehrte Lizenz zum Senden. Für Raumsuche, Finanzakquise, Technikbeschaffung etc. gingen knapp 6 Monate ins Land und die Freiheit zu senden konnte dann am 26. September 1994 ab 12 Uhr endlich genutzt werden.
Vorausgegangen waren viele hitzige Debatten, wie denn diese jetzt endlich erhaltene Freiheit zu nutzen sei. Die Umsetzung der Freiheit hatte nämlich Begehrlichkeiten geweckt: Bis zum Zeitpunkt der CDU-Anhörung war das Häuflein der Getreuen, die ihre Idee umsetzen wollten, gewaltig geschrumpft. Von zunächst 43 Gründungsmitgliedern bleiben 5 bis 7 aktive Menschen übrig, die sich einmal im Monat zunächst in der Universität, später dann beim Stadtjugendring trafen um Aktivitäten zu planen, nach Frequenzen zu suchen und die Idee eines Freien Radios in der Landeshauptstadt am Leben zu erhalten. Der Elan war schon ins Erliegen gekommen und ein Ende der Aktivitäten zeichnete sich ab, weil noch im Dezember 1995 die LfK uns bedeutete, einfach alle Hoffnungen fahren zu lassen. Für Stuttgart könne keine Frequenz gefunden werden. Kaum hatte sich herumgesprochen, dass jetzt doch eine Frequenz zur Verfügung stehen würde, schwoll das Interesse schlagartig an und wir waren plötzlich umworbene Leute. Alle möglichen Gruppierungen von Indipendent-Musiker/innen über die Frauenbewegung bis zu muslimischen Religionsgruppen verschiedener Prägung waren plötzlich an einer Mitarbeit interessiert und waren verärgert, wenn auf ihr Aufnahmebegehren nicht schnell genug reagiert wurde. Die Freiheit zu Senden war begehrt.
Die bisherigen Aktiven waren auf einmal damit beschäftigt, der Freiheit zu Senden Regeln geben und für deren Durchsetzung kämpfen zu müssen. Diese Freiheit bedeutete auch, 166 Stunden in der Woche so zu verteilen, dass möglichst viele zu dem Zeitpunkt ans Mikrofon kamen, wie sie Zeit hatten. Grundsätze zur Freiheit der Sendungen wurden jetzt in Relation gesetzt zu den zur Verfügung stehenden Zeiten und waren deshalb interpretationsfähig. Zur Regulierung wurde außerdem das Koordinationsplenum gegründet, das über die Einhaltung der Sendebedingungen und gegebenenfalls auszusprechende Sanktionen beschloss.
Der Freiheit zu senden sollte ein treffender Name für den künftigen Sender zur Seite gestellt werden, um damit Identifikation zu schaffen und ein Alleinstellungsmerkmal zu erreichen. Viele zermürbende Diskussionen über Namen mit Lokalkolorit oder hochphilosophischen Bezügen wurden ins Spiel gebracht und wieder verworfen: Das Freie Radio Stuttgart allein blieb standfest als Fels in der Brandung. Mit diesem Minimalkonsens wurde dann die Diskussion abgeschlossen ohne damit das ersehnte Fanal zu setzen. Der heutige Südwestrundfunk setzte dann kurz nach Sendestart ‚noch einen drauf’: Unter Androhung einer Strafgebühr von 10.000 DM wurde uns untersagt, den Namen ‚Radio Stuttgart’ weiter zu benutzen, weil dieser sich die Namensrechte für diese Bezeichnung gesichert hatte. So wurde aus dem Freien Radio Stuttgart das heutige Freie Radio für Stuttgart.
Ziemlich bald nach Sendestart wurde auch die Last der Freiheit sichtbar: Unterschiedliche Auffassungen über weltanschauliche Einstellungen veranlassten die antroposophischen Mitglieder des Vereins zur Rückgabe ihrer Sendezeit. Heftig gestritten wurde über allzu saloppe Sprüche und den Kopierversuchen aus anderen bekannten Rundfunkmoderationen. DJ’s, die sich ihre Fangemeinde gesammelt hatten und das Freie Radio als Plattform für ihre Kunst nutzten, denen der Verein aber sonst egal war und die sich scheuten, das Radio auch als einen Teil ihres Werdegangs zu benennen, wurden gemahnt. Lange hitzige Diskussionen wurden auch um die Darstellung der Religionssendungen geführt. Nicht nur einmal landeten diese Auseinandersetzungen bei der Aufsichtsbehörde. Schließlich wurden die Religionssendungen zu einem Sendefenster zusammengefasst.
Eine muslimische Redaktion, die damit nicht einverstanden war, sendete einfach wieder zu ihrer bisherigen Sendezeit ohne Absprachen und drohte auch damit, das Radio zu besetzen. Zähe und langwierige Diskussionen führten dann zur Aufgabe der Sendezeit und weiterem Protest bei der LfK. Auch in politische Auseinandersetzungen war das Freie Radio schon verstrickt. Seinen Anfang nahm es mit dem Angriff der BILD-Zeitung, die das Freie Radio als ‚Kampfsender der Terrorkurden’ titulierte. Die darauf folgende juristische Auseinandersetzung war für das Freie Radio teuer und führte leider zu einem wenig befriedigenden Ergebnis. Weitere Grenzen der Freiheit wurden aufgezeigt bei einer Sendung zum 20. Juli, bei denen sich auch der Staatsschutz einschaltete und bei einer Ausstrahlung eines nicht indizierten Lieds der Gruppe ‚Mono für Alle’.
Zermürbend sind oft auch die Auseinandersetzungen unter unseren Redaktionen aus dem Migrant/innenbereich. Zunächst wird der Mikrokosmos, in dem die Unterschiede entstehen, häufig von Außenstehenden nicht wahrgenommen. Ihn zu vermitteln ist immer wieder eine Geduldsprobe und endet das eine oder andere mal in der Beauftragung eines vereidigten Übersetzungsbüros oder mit der Anhörung unbeteiligter Dritter, um etwas Licht ins Dunkel zu bringen. Wieviel Freiheit vertragen wir dabei?
Lange Zeit endete die Freiheit des Senders auch im Stuttgarter Talkessel bei einer errechneten Erreichbarkeit von rund 33.000 Haushalten. Bis heute wirkt sich diese Grenze der Freiheit in pekuniärer Hinsicht aus: Die Vereinsmitglieder als wesentliche Finanzstütze stammen hauptsächlich aus diesem Gebiet und aus den Reihen unserer rund 50 Redaktionen. Für eine intensive Bewerbung der seit Mai 2004 erweiterten Frequenz reichen unsere Finanzmittel nicht mehr aus.
Was mich zu den Grenzen der Freiheit in finanzieller Hinsicht bringt. Das Freie Radio kann sich gerade so 3 Teilzeitkräfte und eine Minijobberin leisten, die die vielfältigen Aufgaben zu bewältigen suchen. Die Freiheit der Ansprüche ist groß – die Möglichkeiten mit der dünnen Personaldecke schmal. Frustration und Diskussion sind die Folge dieser allzu engen Freiheiten. Ehrenamtliche Kräfte stehen zur Verfügung und versuchen, die Defizite auszugleichen. Das braucht jedoch ein hohes Maß an Koordination und Kommunikation und gelingt nur bedingt.
Auch die einst angeschaffte Technik ist schwer in die Jahre gekommen und müsste dringend ersetzt werden, weil sie eigentlich nur noch durch die dauerpflegenden Hände unseres Haustechnikers und seiner zum Glück recht zahlreichen Helfer/innen am Leben gehalten werden kann. Allein es fehlt das Geld, um hier einen Befreiungsschlag zu erreichen und so schwindet die technische Qualität der Sendungen was zu Frustration bei den Sendenden und damit einhergehend zu nicht mehr ganz so pfleglichem Umgang mit dem Gerät führt. Dies wiederum führt zu einer Abkehr neugieriger Hörer/innen, die andere technische Qualität gewohnt sind, was wieder Auswirkungen auf den Mitgliederbestand hat. Diese Abwärtsspirale aufzuhalten und trotz knarzenden Mikrofonen und hängender Abspielgeräte die Motivation zu erhalten, ist eine Sysiphos-Arbeit des amtierenden Vorstands.
Eine Idee des Freien Radios war auch, dass sich nach einer gewissen Zeit der Eingewöhnung aus der Summe der (Redaktions-)Teile ein gemeinsames Ganzes ergäbe, das mehr ist, als eben nur diese Summe. Auch hier sind wir aus den Ausgangsüberlegungen noch nicht so recht weitergediehen. Verschiedene Wege wurden schon gegangen. Trotzdem ist der Gedanke, eine Redaktion im Freien Radio für Stuttgart zu sein immer noch um einiges selbstverständlicher, als beim Freien Radio für Stuttgart Mitglied zu sein und dort Radio zu machen. Die Freiheit, selbst zu senden, steht über der Freiheit der Organisation.
Zweifellos ist die Dialektik der Freiheit gerade beim Freien Radio für Stuttgart deutlich geworden.
Totzdem haben wir es in 10 Jahren geschafft, gesellschaftlichen Kräften, die sonst im Rundfunk nicht gehört werden, Stimme zu verleihen. Es ist außerdem erstaunlich, wie viele Musikrichtungen und –stile gerade im Freien Radio gespielt werden und wie sich die jeweiligen Mikrokosmen der Anhänger einzelner Musikstile schon diesen Sender adaptiert haben. Einen weiteren wichtigen Bezugspunkt haben wir mit der Vielfalt unserer Migrant/innenredaktionen geschaffen, die in keinem anderen Radio mehr Platz finden. Der Zulauf ist ungebrochen und wer die harten Kämpfe um einzelne Sendeplätze oder den unbedingten Willen nicht zum Zug gekommener Bewerbenden kennt, weiß auch, wie wichtig wir in den letzten 10 Jahren für diese heterogene Zielgruppe geworden sind. Damit hat das Freie Radio für Stuttgart auch einen wichtigen sozialen Platz in der Stadt eingenommen. Nicht selten treffen bei uns auch Einzelpersonen mit Partikularanliegen ein, die ihre Botschaft gerne verbreitet haben wollen. Nicht immer kann dem entsprochen werden und so sind wir gezwungen, hier der Freiheit auch selbst Grenzen zu setzen.
Projekte mit Schulen, Kultureinrichtungen oder generationsübergreifende sind mit Hilfe verschiedener Geldgebenden schon angeschoben worden und haben teilweise auch in unserem Sendeplan Niederschlag gefunden. Der Preis dieser Vielfalt ist, dass wir kein Profil haben, das uns über die Masse heraushebt. Wir sind überall mit dabei und damit auch wieder nirgends. Es fehlen Zeit, Geld und Menschen, die diese Vielfalt sichtbar machen und ihr Profil verleihen. Der Preis unserer Freiheit ist also die ständige Verwaltung des Mangels und der Antrieb durch Sachzwänge. War es das, was wir uns bei der Gründung des Vereins auf die Fahnen geschrieben haben?
Trotz aller Sorgen, Mängel, Sachzwänge und Nöte: Das Freie Radio für Stuttgart hat dem Lebensgefühl in dieser Stadt gut getan. Es schafft vielfältige Verbindungen und trägt mit dazu bei, soziale Verwerfungen transparent zu machen, aber auch die Möglichkeiten zur Überwindung gleich mit zu liefern. Es liefert Informationen, die sonst nicht zu hören sind, deckt auf und regt zum Nachdenken an und es verleiht vielerlei kulturellen Strömungen regelmäßig eine sonst nicht erreichbare Öffentlichkeit. Es macht also Sinn, Freies Radio zu machen und zu erhalten. Wir sind so frei. Vielen Dank.